Vorbereitung auf eine stürmische Nacht

Beitrag #4: Dieses Maneuver lief deutlich aus dem Ruder!

Wir segelten mit Vollzeug in die Nacht. Die Sonne war gerade am Untergehen und der A4 Gennaker zog das Boot mit enormer Kraft durchs Wasser. Um die 10 Tonnen von Sisi mit dieser hohen Geschwindigkeit bewegen zu können, zerrten enorme Kräfte an den Segeln und an allem Material, das diese an ihrem Platz hielt. Es galt das richtige Mittelmaß zwischen Segelfläche und damit Geschwindigkeit, aber auch Vorsicht und vorausschauendem Handeln zu wählen. Denn es konnte bei auffrischendem Wind zu viel des Guten werden. Wurde die Balance nicht richtig gewählt, konnte Segeltuch reißen, anderes Material zu Bruch gehen, oder zumindest die Maneuvrierfähigkeit und damit wieder die Geschwindigkeit des Bootes leiden.

Nachdem die Wetterlage unbeständig war, suchte man also nach einer ausgewogenen Strategie für die Nacht. Vielleicht war gerade jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Segelfläche zu verkleinern und statt dem A4 ein kleineres Vorsegel zu setzen? Der Entschluss fiel für ein Reff im Groß-Segel und einen Wechsel der Vorsegel und so wurden alle Crew-Mitglieder mobilisiert, um zu helfen. Diese Maneuver waren komplex, kräftezehrend und erforderten die volle Aufmerksamheit aller Personen. Es war also keine Aufgabe, die man einfach als reduzierte Wachmannschaft bewältigten konnte. Vor uns lag ein Stück harter Arbeit.

Wenn ein unglücklicher Umstand zum nächsten führt

Die Entscheidung zu reffen kam keine Minute zu früh. Der Wind hatte weiter aufgefrischt, die See baute sich immer höher auf. Das vor uns liegende Gewitter kam rascher näher als vorhergesagt und zeigte seine Zähne. In all den Vorbereitungen für das Reff und den Segeltausch fiel gar nicht auf, dass noch immer einer der Gäste am Ruder stand. Als Rookie hatte er alle Hände voll zu tun, das Boot unter diesen Bedingungen auf Kurs zu halten. Und so kam, was kommen musste: eine besonders starke Böe lies Sisi kräftig krängen, das Boot begann rasch anzuluven, also in Richtung Wind aufzuschießen. Alarmiert rief der Skipper: „Großschot fieren!“, um den Trimmer anzuweisen Druck aus dem Großsegel zu nehmen. Unglücklicher Weise hatte sich der Großbaum im lose hängenden Backstag – einer Art Stützseil des Mastes – verfangen. Obwohl die Großschot gelockert wurde, bewegte sich der festsitzende Großbaum nur wenige Zentimeter. Der Winddruck konnte nicht aus dem Segel entweichen. Unaufhaltsam begann das Boot weiter aufzuschießen, die Krängung nahm bedrohlich zu. Mit dem Ruder am Anschlag rieß der Wasserstrom mit einem fauchenden Geräusch ab. Alle wußten, das Boot reagierte jetzt nicht mehr auf die Lenkversuche des Steuermanns. Wir suchten rasch nach Halt und versuchten weiter nach Möglichkeiten Winddruck aus den Segeln zu nehmen. Einem Crew-Mitglied gelang es die Gennaker-Schot zu erreichen und diese zu lösen. Laut flatternd entlud sich die enorme Last aus dem riesigen Tuch. Lange konnte man dieses große Segel nicht so lose fahren, es bestand die Gefahr das Material zu zerreißen und damit dieses strategisch wichtige Segel zu verlieren. Also bemühten wir uns den Großbaum wieder klar zu machen, was schließlich auch gelang.

„Können wir bitte den Rudergänger wechseln?!“

Der Rudergänger wurde abgelöst und verließ frustriert seinen Posten. Nach gut einer Stunde Arbeit vekrochen sich alle bis auf die aktuelle Wachmannschaft nass und erschöpft in ihre Schlafplätze.

Mein Team war weiter an der Reihe und so blieb ich. An Deck kehrte gespannte Stille ein. Nach ein paar Minuten meinte ich: „Niemandem von uns wäre es anders ergangen. Mit dem festsitzenden Baum war die Situation einfach nicht mehr zu retten. Dafür kannst Du nichts.“  Mein Team-Kollege schaute wortlos in meine Richtung, nickte und blickte wieder nach vorne in die schwarze Nacht. Es vergingen wieder ein paar Minuten und eine weitere Crew-Kollegin sagte augenzwinckernd: „Versprochen, Du darfst trotzdem wieder ans Rad“. Wir kicherten etwas. Als dann ein weiterer Kollege dem Unglücklichen aufmunternd auf die Schulter klopfte, meldete sich dieser erstmals zu Wort. Er meinte: „Ich finde es wirklich bemerkenswert mit welcher Behutsamkeit ihr Eure Unterstützung ausdrückt. Das freut mich wirklich und das tut mir gut. Danke dafür!“ Langsam aber sicher besserte sich so die Stimmung, es wurde wieder gescherzt und natürlich analysierten wir, was hätte besser laufen können. An Ende blieb die Erinnerung an ein etwas mißglücktes Maneuver aber noch viel mehr, wie stark wir als Team zusammengehalten hatten.

Reflexion

Es waren in dieser Situation einige Fehler passiert. Doch es geht hier ganz und gar nicht darum mit dem Finger auf irgend jemanden zu zeigen, oder den Kopf zu schütteln. Wir alle hatten unsere dunklen Momente auf dieser Reise und niemand war jemals perfekt. Lernen ist Teil der Überfahrt.

Rückblickend war dieses Ereignis jedoch sehr wertvoll und es hat uns als Team gestärkt. Aus meiner Sicht waren diese  Erfolgsfaktoren entscheidend:

Patentrezepte gibt es für solche Ereignisse keine. Zu viele Einflussfaktoren bestimmen den möglichen Erfolg. Je bewußter Interventionen gesetzt werden können, desto mehr Spielraum ergibt sich für die beteiligten Personen. Richtig gesteuert können vermeintliche Fehler zur Stärkung des Teams beitragen. Es gab hier nicht die eine verantwortliche Führungskraft, alle Teammitglieder haben spontan Verantwortung übernommen.

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